Minnekästchen – Eine höfische Liebesgabe
Holzkästchen, Werkstatt der Embriachi, Venedig, um 1400
Der Begriff Minnekästchen stammt aus dem 19. Jh. und bezeichnet mittelalterliche Holzkästchen mit meist geschnitzten, zum Teil auch farbig gefassten Minne-, Jagd- und Tanzszenen. Sie dienten wahrscheinlich zur Aufbewahrung der Brautgabe und waren ein Geschenk des minnenden Mannes an seine Braut. Gelegentlich ist eine sekundäre Verwendung als Reliquienkästchen bezeugt (vgl. Exemplar im Brixner Domschatz).
An den Ecken des Kästchens ist Herkules mit Schild und Keule positioniert. Seine Darstellung auf einem Minnekästchen entbehrt durchaus nicht des Schalks: Der Sage nach hatte Herkules seiner Herrin Omphale drei Jahre lang gedient, bevor sie ihn heiratete. Der Ehe entsprangen zwei oder drei Söhne. Herkules wandelte sich unter Omphales Einfluss zu einem zahmen Ehemann, der aus blinder Liebe in weibliche Rollen schlüpfte, während Omphale das Löwenfell trug und die Holzkeule schwang.
Die weiteren Elfenbeinreliefs zeigen vor einem mit Bäumen bestandenen Landschaftshintergrund tanzende und dialogisierende Paare, welche wohl eine Hochzeit oder anbahnende Liebensbeziehungen simulieren, oder das weibliche Gefolge der Herrin. Dazu kommt die Darstellung eines alten Mannes, der einen Korb mit Früchten vor die Füße einer jungen Dame legt, wohl um sie zu umwerben. Beinahe identische Reliefs finden sich auf einem Kästchen im Museo d’Arte Medievale e Moderna Padova (Inv.-Nr. 174).
Die Qualität dieses Kästchens liegt nicht in der feinen Ausführung der Details, die Gesichtsformen sind sehr schematisch geschnitten. Der Deckel ist in Certosina-Technik mit geometrischen Mustern geziert.
Die im späten 14. und 15. Jh. aktive venezianische Werkstatt der Embriachi gehört zu den bekanntesten Produzenten solcher Kästchen. Neben Objekten und Schnitzaltären aus Holz und Elfenbein fertigte sie reich dekorierte Gebrauchsgegenstände seriell und aus billigerem Bein für eine breitere Käuferschicht.
Literatur
Elena MERLINI, La “Bottega degli Embriachi” e i cofanetti eburnei fra Trecento e Quattrocento. Una proposta di classificazione, in: Arte cristiana 76 (1988), S. 267–282.
Michele TOMASI, La bottega degli Embriachi (Lo specchio del Bargello 49), Firenze 2001.
Michele TOMASI, La bottega degli Embriachi e gli oggetti in legno e osso in Italia fra Tre e Quattrocento, in: Simonetta CASTRONOVO/Fabrizio CRIVELLO/Michele TOMASI (Hg.), Collezioni del Museo Civico d’Arte Antica di Torino. Avori medievali, Torino 2016, S. 151–207.
https://padovamusei.it/it/musei/museo-arte-medievale-moderna/collezioni/avori/bottega-embriachi (letzter Zugriff 19.11.2021)