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CAR(D)O. Lois Anvidalfarei, Gotthard Bonell, Roberta Dapunt

18.03.2017 – 04.06.2017

Die Ausstellung CAR[D]O auf Schloss Tirol verspricht ein Erleben der besonderen Art. Auf 350 Quadratmetern kommt es zu einer Gemeinschaftsausstellung von bildender Kunst und Sprache. Roberta Dapunt zeigt und liest Gedichte, Lois Anvidalfarei stellt Skulpturen aus, und Gotthard Bonell hängt Bilder und Zeichnungen in den Raum. Ein Paragone, wie er sonst nicht leicht zu finden ist. Neben den künstlerischen Techniken sind es auch die Sprachen: Roberta Dapunt schreibt als Ladinerin vorwiegend in Italienisch, das weitaus melodischer strukturiert ist und dem Ladinischen gegenüber feinere Nuancen zulässt. Lois Anvidalfarei gehört zu den arriviertesten und eigensinnigsten Bildhauern der Gegenwart. Der Bildhauer aus Abtei hat sich in seinem Werk ganz der Darstellung des menschlichen Körpers verschrieben. Es sind gewaltige Körper, die Anvidalfarei formt, schwere Kolosse einer fragilen Menschlichkeit. Der Körper hat den Charme des Ausgeliefertseins, er bekennt sich zum Fragment, kommt oft auch nur mit dem Kopf oder der Hand aus, die als Chiffren für das Ganze stehen. Gotthard Bonell gilt als Altmeister des Realen und der Neuen Sachlichkeit. In seinen Bildmotiven nähert er sich der Erscheinung des menschlichen Körpers, vor und nach der Verwesung. „Caro“ heißt nämlich Fleisch, und „cardo“ meint sowohl die Türangel und auch das Argument. Es ist ein bildlich-sprachliches Nachdenken über den Körper, über den Menschen in seiner „materia prima“.

Dass die Ausstellung auf Schloss Tirol gezeigt wird, hängt am gesetzten Zuschnitt, ladinische Kultur in das Landesmuseum für Kultur- und Landesgeschichte zu holen und diese im thematisch zugeschnittenen Kontext zu zeigen, der sich allerdings in der Wahl der Künstlerin und der Künstler von selbst ergibt, behandeln nicht doch alle drei seit langem schon das Thema Körper. Die Ausstellung wurde so von den Künstlern konzipiert. Die graphische Umsetzung lag in den Händen von Uli Prugger (Gruppe Gut, Bozen).

Künstlerische Positionen bekannt machen, über Kunst Sinn stiften und zum Nachdenken anregen. Die Ausstellung erfüllt mehrfach diese Zwecke, als sie über künstlerische Medien und ethnische Bereiche Brücken schlägt. Der menschliche Körper als Ausdruck menschlichen Seins bildet sozusagen die „conditio sine qua non“ im Erfassen des Menschen. Im Katalog wird die Ausstellungsgestaltung selbst zum Fokus. Die beigelegte CD lässt wie die Tonstation in der Ausstellung Roberta Dapunt im O-Ton vernehmen und enthält zwei Kompositionen von Marcello Fera, „Interludio sulla voce di Roberta Dapunt“ und „La sacra conversazione“, die im künstlerischen Austausch zwischen Dapunt und Fera entstanden sind.

Luther und Tirol. Religion zwischen Reform, Ausgrenzung und Akzeptanz.

01.07.2017 – 26.11.2017

Die Ausstellung hat erstmals den Protestantismus in Tirol zum Thema. Anlass bleibt das 500-Jahr-Jubiläum der Reformation, die traditionell mit dem „Thesenanschlag“ Martin Luthers am 31. Oktober 1517 beginnt. So ist ein erster Schwerpunkt der Person des Reformators Martin Luther gewidmet. Die Reform setzt auf die gezielte Verbreitung von Thesen und Lehren durch den Buchdruck, der zuvor schon den deutschen Bibeldruck erfasst hatte. Die Anfänge der „neuen Lehre“ werden in Tirol aufgespürt, wo es beispielsweise mit Urbanus Reghius und Strauß prominente protestantische Prediger in Hall gab. Die Bilderkultur des 16. Jahrhunderts bleibt durchdrungen von neuen Bildinhalten, die aus der intensiven Beschäftigung mit der Heiligen Schrift erwuchsen. Dabei kommt dem in Täuferkreisen beheimateten Maler Bartlmä Dill Riemenschneider eine besondere Aufmerksamkeit zu. Das Bild wurde alsbald zum gezielten Medium der Auseinandersetzung, die nicht zuletzt über Flugschriften erfolgte. Diese machten den Gegensatz zwischen Lutheranern und „Papisten“ erst recht sichtbar. Auch das Schrifttum wurde streitbar und setzte auf theologische Kontroversen, die auf beiden Seiten ausgiebig diskutiert und verfochten wurden. Mit der Konfessionalisierung des Reiches wurde in Tirol die protestantische Konfessionsausübung verboten. Im 17. Jahrhundert verhärtete sich die Situation: Es kam zur Ausweisung der Deferegger Protestanten. Geradezu unzeitgemäß mutet das Faktum an, dass selbst nach dem Toleranzpatent Kaiser Josephs II., 1837 protestantische Splittergruppen aus dem Zillertal zur Auswanderung gezwungen wurden. Mit dem Protestantenpatent Kaiser Franz Josephs beginnt eine neue Ära, die nun, nicht ohne Widerspruch, zu ersten protestantischen Kirchen- und Gemeindegründungen in Meran, Bozen, Arco und Innsbruck führt.

Die Ausstellung geht vor allem den inhaltlichen Strategien der Reformation nach und zeigt anhand zahlreicher Dokumente den Verlauf derselben und die durch die Verwendung der neuen Medien gesteigerte Sprengkraft der neuen Lehre. Sie spürt protestantischen Tirolern nach und beleuchtet den Reflex der „Lutherischen“ in der Literatur.

Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher Katalog mit Beiträgen von Rudolf Leeb, Leo Andergassen, Hanns-Paul Ties, Esther Wipfler, Kai Bremer, Wilfried Beimrohr, Hans Reimer und Sigurd Paul Scheichl.

Die von Hanns-Paul Ties und Leo Andergassen konzipierte Wissenschaftliche Tagung auf Schloss Tirol (7. bis 9. September 2017) behandelt die Ausbreitung des Protestantismus in den urbanen Zentren in Tirol und im Trentino, folgt den kulturhistorischen Spuren der Neuen Lehre in der Bilderkultur und zeigt dessen Einfluss auf die Buch- und Spielkultur auf.

Peter Senoner – BOTANICALIRIOUS

07.10.2017 – 26.08.2018

Peter Senoner ist, sei es als Zeichner, sei es als Bildhauer, ein Körperbesessener. Und er ist, sei es als Zeichner, sei es als Bildhauer, ein Künstler der Hybridität. Beide Begriffe stehen gegenwärtig im Zentrum heftig geführter Debatten. Radikale Positionen des Posthumanismus streben unter dem Schlagwort „Cyborgisierung des Menschen“ eine Überwindung des als mangelhaft empfundenen Körpers an und sehen darin den nächsten großen Zivilisationssprung, Kritiker sehen in einem fortschreitend entkörperten Selbst den Körper selbst verschwinden.

Früh, fast prophetisch früh, hat Peter Senoner sich mit der Digitalmoderne und den Biotechniken auseinandergesetzt. Als er seine hybriden Körperskulpturen zu Anfang des neuen Jahrtausends erstmals öffentlich ausstellte, wirkten sie noch wie Science-Fiction-Utopien, heute ist offensichtlich, dass es ebenso Geschöpfe der Fiktion wie der gesellschaftlichen Wirklichkeit sind.

Am Anfang von Peter Senoners künstlerischer Entwicklung stehen jedoch nicht diese Diskurse, sondern eine geradezu manische Obsession für den menschlichen Körper. Umgesetzt hat er diese Manie zunächst im Medium Zeichnung. Anthony Gormley, einer seiner Lehrer an der Münchner Akademie, verschaffte ihm ein eigenes Modell, mit dem er lebensgroße Aktzeichnungen auf Papier anfertigte. Zugleich bastelte er Maschinenobjekte, die seiner zweiten Obsession – der für Bewegung und automatisierte Abläufe – Ausdruck verliehen.

Die Verschmelzung beider Obsessionen gelang im Material Holz und paradoxerweise an einem Ort, der am wenigsten verdächtig ist für die altehrwürdige Kunst der Holzbildhauerei und deren schwerblütige Verbundenheit mit der Heimaterde: in New York. In der Welthauptstadt der internationalen Kunst findet er zum Material aus der väterlichen Werkstatt zurück. Die Gründe waren alles andere als nostalgischer Natur. Holz war in der von Kunststoffen aller Art dominierten Kunstwelt ein Alleinstellungsmerkmal, es war authentisch und es erlaubte die formale Präzision, die auch seinen peniblen Zeichnungen eigen ist.

Die Attribute seiner Mensch/Maschine-Figurationen, ihre technoiden Verwachsungen am Kopf – alle seine Skulpturen sind Kopf-Körper, sämtliche weiteren Körperfunktionen scheinen wie bei den Cyborgs überflüssig zu sein –, ihre Geschlechtslosigkeit, ihre radikale Verweigerung humanistisch geprägter Identität antizipieren künftige Wirklichkeiten, die in den Life- und Cyberscience bereits Gestalt annehmen. Der mächtige COR, der auf einem fünf Meter hohen Drahtseil-Sockel vor Schloss Tirol auf Meran hinabschaut, verharrt in einem Schwellenstadium zwischen humanem und posthumanem Körper, einem Kippmoment des Nicht-Mehr und des Noch-Nicht.

Die Zeichnungen

Hybridität und seine ältere Schwester, die Metamorphose, sind auch das grundlegende künstlerische Konzept von Peter Senoners Zeichnungen. Die sieben großformatigen (250 x 125 cm) Arbeiten im Bergfried von Schloss Tirol sind, wie schon der Titel „Botanicalirious“ (eine Kombination aus Botanical und Delirious) ausdrückt, Hybride in sich. Im Unterschied zu seinen Skulpturen verschmilzt er auf den Zeichnungen nicht Mensch und Maschine, sondern lässt Mensch und Pflanze verwachsen.

Der Ausgangspunkt sind klassische Aktzeichnungen. Wie in seiner Studienzeit zeichnet er ganz akademisch am Modell, danach geht er ins Freie und sucht eine Pflanze, einen Zweig oder eine Blüte, die er in virtuoser Detailtreue mit dem gezeichneten Körper kombiniert. Die Körper beherrschen den Bildraum, doch die akribisch ausgeführten Umrisslinien tendieren zur Formauflösung. Sie überschneiden, mischen, überlagern, überzeichnen sich gegenseitig zu Körpern über Körper über Körper. Sie schweben in einer Welt ohne Perspektive, werden von sich selbst überflutete Gestalten, die in einem beständigen Taumel ihre Gestalt ändern. Es gibt kein Oben und kein Unten, die Körper springen hin und her, verweigern sich jeder Statik.
Unübersehbar spiegeln diese analogen Körper den digitalen Strudel virtueller Welten. Hinter jedem Bild tut sich wie auf einem Bildschirm ein weiteres Bild auf. Wie ein Interface verbinden die Zeichnungen das ortlose digitale Orientierungsgefühl, in dem keine Setzung abschließend ist und Inhalte fortwährend den Kontext wechseln, mit der physischen Welt.

Im Kontrast zur polymorphen Körperwelt, die mit einem Bein im Virtuellen steht, beharrt die Pflanzenwelt auf ihrer sinnlich klaren Präsenz. Es ist dieses Changieren zwischen materieller Dichte, Leerzonen – ganze Partien bleiben unbearbeitet – zeichnerisch scharf notierten Details und malerisch flüchtiger Lavierung, das den Bildern ihre Spannung verleiht.

Formal handelt es sich um Zeichnungen – Senoner verwendet nichts außer Graphit –, doch auch als Zeichner nähert er sich der Bildhauerei an. Ganze Partien der Bildoberfläche sind mit Schleifpapier behandelt, was sie rau, schrundig und von turbulenter Materialität macht. Hybridität schlägt auch in der bildhauerischen Methode des Zeichnens durch. Dieser Idee Form zu geben – darum geht es in Peter Senoners Zeichnungen.

Heinrich Schwazer

Nach der Winterpause des Landesmuseums wird man auch diese Ausstellung wieder besichtigen können, von 15.03. bis 26.08.2018.